Resilienz bei Kindern – 6 Übungen für starke Kinder
Wünschst du dir manchmal, dass dein Kind eine völlig sorglose und angstfreie Kindheit erleben würde? Keine Schikanen auf dem Schulhof. Kein Heimweh auf der Klassenfahrt. Keine zerbrochenen Freundschaften. Und erst recht kein Ellbogen-Gerangel in dieser wettbewerbswütigen Welt.
Auch wenn ein Leben ohne Widrigkeiten verlockend klingt, sind Rückschläge und Niederlagen gar nicht das Schlechteste, was deinem Kind passieren kann. Noch problematischer als die Ärgereien auf dem Schulhof, schlechte Noten und die Angst vor dem Schwimmbecken wäre es nämlich, wenn dein Kind überhaupt keine Probleme kennen würde. Denn ohne Herausforderungen gelingt auch kein (geistiges) Wachstum. Und was wünschen sich Eltern mehr, als ein Kind, das wächst und sich weiterentwickelt?
Den Wind kann man nicht verbieten, aber man kann Windmühlen bauen.– Holländisches Sprichwort
Mit den folgenden sechs Übungen zeigst du deinem Kind, wie es Gegenwind in Energie verwandelt und sich dadurch zu einem starken und selbstbestimmten Menschen entwickelt.
WAS IST RESILIENZ UND WIE KANN MAN SIE FÖRDERN?
Resilienz wird in der Alltagssprache oft mit Widerstandsfähigkeit gleichgesetzt. Wenn du eine wasserfeste Uhr in einen Brunnen wirfst, dann ist sie hinterher immer noch intakt. In der Psychologie meint Resilienz jedoch viel mehr als „funktionsfähig, selbst unter schwierigen Bedingungen”. Hier bedeutet Resilienz die erfolgreiche Bewältigung einer kritischen Situation. Das heißt, eine Krise wurde nicht nur abgewendet, sondern die Person ist sogar an der Herausforderung gewachsen, hat etwas dazu gelernt und wird nun auch zukünftige Schwierigkeiten besser meistern.
Im Alltag könnte Resilienz zum Beispiel so aussehen: Dein Kind im Grundschulalter ist zum ersten Mal für ein paar Stunden allein zu Hause. Erst hat es Langeweile, dann Hunger und schließlich Angst. Irgendwann hält es das Alleinsein nicht mehr aus und ruft dich an. Doch statt umgehend nach Hause zu kommen, könnt ihr zusammen nach Lösungen suchen. Was kann dein Kind tun, um sich die Zeit zu vertreiben? Gibt es irgendwo noch einen Snack für den kleinen Hunger? Die Mini-Krise ist schnell überwunden und beim nächsten Mal allein zu Hause kann sich dein Kind an diese Strategien erinnern und sie selbstständig für sich nutzen.
6 RESILIENZFAKTOREN UND DAZU 6 ÜBUNGEN FÜR STARKE KINDER
Wie immer in der Psychologie lässt sich auch das Konzept der Resilienz besser verstehen, wenn man es in seine Einzelteile zerlegt. Dazu haben Forscher:innen der Universität Freiburg sechs Resilienzfaktoren definiert. [1] [1] Resilienzfaktoren: Universität Freiburg (2020): Zentrum für Kinder- und Jugendforschung Im Folgenden erläutern wir diese Bausteine der Resilienz. Außerdem haben wir zu jedem Resilienzfaktor eine Übung für dich und dein Kind entwickelt.
1. Selbstwahrnehmung
Gefühle und Gedanken können uns überrennen wie eine Büffelherde. Sie verraten uns allerdings auch, was uns im Leben wichtig ist und sind deswegen ein wertvolles Mittel zur Selbstreflexion.
Um die Wahrnehmung für unsere Empfindungen zu stärken, bieten sich Achtsamkeitsübungen an. Denn Achtsamkeit bedeutet, die eigenen Gedanken und Gefühle zu beobachten. Körperliche Empfindungen sind am einfachsten zu beobachten und eignen sich deshalb sehr gut für den Einstieg in die Selbstwahrnehmung.
Stell dich zusammen mit deinem Kind mit dem Gesicht zur Wand. Berührt sie mit beiden Handflächen und spürt, wie die Wand sich anfühlt. Reibt zehn Mal mit den Händen an der Wand hoch und herunter. Wie fühlen sich eure Hände an, wenn ihr sie von der Wand nehmt?
2. Selbststeuerungsfähigkeit
Wenn dein Kind gerade in einer Prüfung sitzt oder daheim allein auf deine Rückkehr wartet, will die Büffelherde in der inneren Gefühlswelt jedoch nicht nur beobachtet, sondern auch gezähmt werden. Dazu braucht dein Kind Strategien, um seine Gefühle zu regulieren oder auch, um Trost und Zuspruch von Außen zu erbitten.
Lass dein Kind auf ein Blatt malen: auf der linken Seite Regenwolken, auf der rechten Seite Sonne, verbunden mit einem Regenbogen. Nun malt oder schreibt es in die Wolken, was ihm schlechte Laune, Angst und Wut im Bauch macht. Auf die Sonnenseite kommen all die schönen Dinge, die richtig gute Laune machen. Frag dein Kind: „Wie kannst du dir diese Gute-Laune-Dinge holen, wenn du mal schlechte Stimmung hast?” Schreibt oder malt die Antwort in den Regenbogen.
3. Selbstwirksamkeitsüberzeugung
Sagt dein Kind manchmal, dass es nur Glück hatte, wenn es eine tolle Leistung erbracht hat? Oder traut es sich schwierige Aufgaben gar nicht erst zu und bleibt lieber auf der Ersatzbank sitzen? Dann wird es höchste Zeit, deinem Kind vor Augen zu halten, was es alles aus eigener Kraft schaffen kann!
Dein Kind soll sich selbst ein Kompliment machen. Lass es (immer mal wieder) jeweils einen Zettel für jede Sache schreiben, die es an sich mag oder die es gut gemacht hat. Diese Zettel sammelst du dann in einer geheimen Box (z. B. in einem Schuhkarton). Wenn dein Kind mal traurig ist, kann es in diese Box hineingreifen und sich dann selbst daran erinnern, wie super es ist.
Man kann viel, wenn man sich nur recht viel zutraut.– Friedrich von Humboldt
4. Soziale Kompetenzen
Spätestens wenn dein Kind die Kita oder Schule betritt, beginnt eine der wohl größten Herausforderungen: der Umgang mit vielen neuen Menschen. Im Laufe der Schulzeit machen Leistungsdruck und Konkurrenzdenken diese sozialen Interaktionen sogar noch komplexer. Einfühlungsvermögen, Konfliktlösung und Selbstbehauptung sind das Schmieröl für einen möglichst reibungslosen Umgang mit anderen Menschen.
Lass dein Kind lesen oder lies ihm eine Geschichte vor. Studien konnten belegen, dass das altbewährte Lesen eines der besten Empathie-Trainings ist. [2] [2] Vorlesen als Empathietraining: Kidd/Castano (2013): Reading Literary Fiction Improves Theory of Mind Durch Geschichten lernen Kinder den Umgang mit Problemen, die sie selbst noch nicht erlebt haben. Zudem helfen die verschiedenen Charaktere dabei, die Welt vom sicheren Hafen des Bettchens aus zu erkunden.
Wir glauben übrigens so sehr an die transformierende Macht der Geschichten, dass wir für Das 6-Minuten Tagebuch für Kinder eigens Kurzgeschichten geschrieben haben:
5. Stressbewältigung
Auch wenn dein Kind vermutlich noch keine Überstunden schieben und nervenzerreibende Diskussionen mit Vorgesetzten führen muss, erlebt es dennoch Stress. Denn Stress bedeutet nichts anderes, als zu wenig Fähigkeiten, Kräfte und Ressourcen zu haben, um eine oder mehrere Herausforderungen gleichzeitig zu schaffen. Wenn dein Kind zum Beispiel ein Referat vor der Klasse halten soll, in der Pause von den anderen Kindern gehänselt wurde und obendrein Zahnschmerzen hat, dann kann es von der Summe dieser Belastungen überfordert werden. Um Körper und Geist schnell wieder zu beruhigen, eignen sich vor allem Atemübungen, da sie stets zugänglich und leicht zu lernen sind.
Übe mit deinem Kind gleichmäßig zu atmen: Erst vier Sekunden in den Bauch einatmen, vier Sekunden die Luft halten, vier Sekunden ausatmen, vier Sekunden die Luft halten. Wiederhole diesen Rhythmus insgesamt viermal. Wenn dein Kind das nächste Mal Stress erlebt, dann erinnere es an diese 4x4-Atemübung. Das funktioniert übrigens auch am Telefon!
Die Kunst zu leben besteht zu einer guten Hälfte aus Widerstandsfähigkeit.– Alain de Botton
6. Problemlösekompetenz
Kein Problem ist so groß, dass es nicht gelöst werden könnte! Dieser Glaubenssatz mag zwar an seine Grenzen stoßen, wenn dein Kind irgendwann vom Klimawandel erfährt. Doch in erster Linie geht es erst einmal darum, was dein Kind über sich, seine Fähigkeiten und seine Selbstwirksamkeit in dieser Welt denkt. Und da kommen Glaubenssätze ins Spiel. Und je hilfreicher diese sind, desto besser. Damit dein Kind Probleme als verkleidete Möglichkeiten sieht, braucht es eine gute Portion Kreativität, um in jeder Situation neue Lösungswege zu finden.
Übung: Spiel des Lebens (aus dem 6-Minuten Tagebuch für Kinder)
Lass dein Kind ein Bild malen, das ihm selbst gefällt. Egal was, Hauptsache, es macht ihm Freude! Dann soll es einen anderen Stift nehmen und über das Bild kritzeln. Es soll so hässlich wie nur irgendwie möglich werden. Dann fordere es auf, sich noch einmal ein paar Minuten Zeit zu nehmen, um wieder etwas Schönes aus dem Krickelkrakel zu machen. Aber ohne Radiergummi! Danach kannst du deinem Kind erklären, dass es im Leben manchmal genauso ist. Manchmal hat man etwas sehr Schönes und ist total glücklich. Aber manchmal geht das Schöne auch kaputt und macht einen traurig. Trotzdem kann man mit Kreativität und etwas Durchhaltevermögen immer das Beste aus einer blöden Situation machen.
RESILIENZ FÜR JUNG UND ALT
Resilienz ist kein Ziel, sondern eine Reise. Auch als Erwachsene können wir jeden Tag ein bisschen widerstandsfähiger werden, indem wir lernen zu reflektieren und über uns hinauswachsen. Also schau deinem Kind nicht nur bei den Übungen zu, sondern mach doch einfach mit! :-) Im 6-Minuten Tagebuch für Kinder gibt es noch viele weitere Übungen, die deinem Kind helfen, sein Selbstbild, seine Positivität und seine mentale Gesundheit zu stärken. Und wenn ihr wollt, könnt ihr diese sogar auch gemeinsam machen :-)
Die menschliche Belastungsfähigkeit ist wie Bambus –sie ist weitaus flexibler als du auf den ersten Blick glauben würdest.– Jodi Picoult
Wenn du noch mehr gute Ideen gegen Schulstress suchst, haben wir hier 4 weitere konkrete Tipps für dich.
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Dieser Beitrag stammt von Amelie Haupt. Sie ist dank ihres Studiums der Wirtschaftspsychologie die „Psycho-Tante“ des 6-Minuten Verlags. Mag ihre Texte, wie ihr Leben: mit Struktur. Die braucht sie auch, wenn sie wieder mal als digitale Nomadin unterwegs ist.
Quellen:
[1] Resilienfaktoren: Universität Freiburg (2020): Zentrum für Kinder und Jugendforschung
[2] Vorlesen als Empathietraining: Kidd/Castano (2013): Reading Literary Fiction Improves Theory of Mind
7 Kommentare
vielen Dank
ich schreibe zurzeit meine Facharbeit mit Thema Resilienz und die Übungen finde ich sind sehr wertvoll.
Vielen lieben Dank für ihren Mühe , es hat mich sehr viel geholfen .
Vielen Dank für dieses tolle Buch, es ist so schön gestaltet. Sohnemann (9) benutzt es mit Begeisterung, ihm gefallen auch sehr die Geschichten, die der mir dann gerne vorliest. Habe es auch schon mehrmals verschenkt, da ich merke, wie sehr es hilft, positiv zu denken.
Vielen Dank für die sehr wertvollen Tipps. Ab wieviel Jahren wird das 6-Minuten Tagebuch für Kinder empfohlen? LG, Canan
Ein großartiges Buch, denn meine Kinder haben jeden Tag Spaß und Freude daran, reinzuschreiben.
Es verändert deren Bewusstsein auf viele Dinge im Leben. Es inspirit meine Kinder so sehr, dass wenn die zwei anfangen zuschreiben, eine spürbare und angenehme Ruhe zu spüren ist.
Das Buch kann ich jedem vom Herzen einfach empfehlen. Kinder können nicht früh genug damit anfangen, über sich nachzudenken.
Toller Beitrag! Wie immer bei euch!
Das Kinderbuch habe ich auch schon zwei mal verschenkt, zwei mal total begeisterte Reaktionen bekommen!
Grüße, Marion
Super wertvoller Beitrag mit wirklich praktikablen Übungen. Wie wichtig, das Thema Resilienz bewusst schon im Kindesalter zu stärken 👏