Produktiver mit Achtsamkeit – 5 sanfte Alternativen zum Leistungsdruck
Du willst endlich ein eigenes Buch schreiben, deine Geschäftsidee für den Pizza-Lieferdienst per Drohne entwickeln oder nur die vielen E-Mails in deinem überquellenden Postfach beantworten? Doch leider hat dein Tag nur 24 Stunden? Nach Arbeit, Haushalt und Kinderpopos putzen bleibt oft kaum noch Zeit für unsere Herzensprojekte übrig. Mehr Zeit hinzufügen können wir dem Tag nicht. Aber wir können die Stunden, die wir haben, effektiver gestalten – ganz nach dem Motto: Mehr in gleicher Zeit. Oder sogar mehr in weniger Zeit.
Überall winken Strategien, um produktiver zu arbeiten. In Zeiten von Burnout und Perfektionismus führt der Wunsch nach mehr Leistung allerdings schnell in den Selbstoptimierungswahn. Ich möchte dir einen anderen Weg vorschlagen: den Weg über Achtsamkeit zu Produktivität. Achtsamkeit bedeutet, im Hier und Jetzt zu leben. Die Dinge anzunehmen, offen zu sein für Empfindungen und nicht zu bewerten. Aber wie kann man bei all der Gelassenheit trotzdem Dinge voranbringen, die einem wichtig sind – also produktiver werden?
Arbeite klug, nicht hart. – Dr. House
1. Fahr dein Gehirn von Null auf Om
Schon als der Mensch mit Keule und Feuerstein vor Säbelzahntigern davon lief oder selbst versuchte, sein flüchtendes Abendessen zu fangen, hatte er ab und zu Stress und musste Ergebnisse liefern. Seitdem müssen Menschen irgendwie wieder zur Ruhe und Besinnung kommen. Vermutlich existiert schon so lange eines der besten Mittel zur Stärkung der Konzentration und somit für mehr Produktivität: die Meditation. Ein paar hunderttausend Jahre hat es dann gedauert, bis Forscher tatsächlich bewiesen: Wenn du meditierst, also im Geiste ein Mantra wie das Om wiederholst oder dich auf deinen Atem konzentrierst, verbesserst du messbar deine Gedächtnisleistung. Vor allem steigern sich deine kognitiven Fähigkeiten, wenn du unter Stress und Zeitdruck arbeitest.
Achtsamkeitsbasierte Stressreduktion (MBSR, vom englischen Mindfulness-Based Stress Reduction, eine Kombination aus Meditation, Yoga und dem sogenannten Body-Scan, bei der du einzelne Regionen deines Körpers achtsam nacheinander wahrnimmst) lässt nach einigen Wochen Areale in deinem Gehirn wachsen, die für Erinnerungsprozesse, Selbstreflexion, langfristiges Denken und fürs Lernen zuständig sind. [1] [1] Studie: US National Library of Medicine National Institutes of Health (2010) Mindfulness practive leads to increases in regional brain gray matter density Amerikanische Forscher der Wake Forest University School of Medicine in Winston-Salem fanden bei einem Test jedoch heraus, dass schon ein Meditations-Kurzprogramm messbaren Erfolg bringt. [2] [2] Hirnforschung: Spiegel Online (2010) Kurzes Meditieren verbessert geistige Fähigkeiten Vier Tage je 20 Minuten zu meditieren reichen bereits aus, um sich besser konzentrieren zu können. Ein Nebeneffekt, den du bestimmt gern mitnimmst: Die Testpersonen hatten außerdem weniger Angstgefühle und waren weniger müde. Investiere also die 20 Minuten in deine Zeit. Sie werden dich produktiver machen.
Das ist jedoch nicht alles, was Meditation kann! Sechs weitere, wissenschaftlich erwiesene Vorteile von Meditation findest du hier.
2. Verlasse die Geräuschkulisse
Piepende WhatsApp-Nachrichten im Minutentakt, das ewige Brummen der Schnellstraße, die blubbernde Geräuschkulisse im Großraumbüro – wir sind einer ständigen Rundumbeschallung ausgesetzt. Experten sind sich längst sicher: Lärm kann bereits ab einer dauerhaften Beschallung von 65 Dezibel krank machen – das sind zum Beispiel die Geräusche von klappernden Tellern, Töpfen und Stimmen in einer Kantine. [3] [3] Geräusche in Deziblel: Die Welt (2004) Vom Ticken der Uhr bis zum Presslufthammer
Angeblich sind allein 6.000 Herzinfarkte pro Jahr in Deutschland nur dem Verkehrslärm zuzuschreiben. [4] [4] Stress durch Lärm: Spiegel Online (2014) Stille ist Luxus
Tätig ist man immer mit einem gewissen Lärm. Wirken geht in der Stille vor sich. – Peter Bamm
3. Produktiver werden durch Nichtstun
Jetzt darfst du dich freuen: Du kannst sogar produktiver werden, wenn du nichts tust. Wenn unsere grauen Zellen gerade kein Problem lösen müssen, aktiviert sich das Tagträumer-Gehirn, das sogenannte Ruhemodusnetzwerk. Es beschäftigt uns bei Langeweile. In unserer modernen Leistungsgesellschaft hat es deshalb einen schlechten Ruf. Manche Menschen sind regelrecht allergisch gegen Langeweile. Passend dazu entschieden sich Probanden bei einem ziemlich skurrilen Experiment sogar lieber für Elektroschocks als ein paar Minuten den eigenen Gedanken nachhängen zu müssen. [8] [8] Sozialpsychologie: spektrum.de (2014) Lieber Elektroschocks als Nichtstun
Dabei wird unser Gehirn sehr schöpferisch, wenn es nichts tut. Denn wie Hirnscans belegen, beschäftigt es sich immer. Das Ruhemodusnetzwerk bildet neue Verbindungen und setzt kreative Prozesse in Gang. Wir fantasieren von der Zukunft oder analysieren Beobachtungen. [9] [9] Neurowissenschaft: spektrum.de (2016) Die Vorteile des Tagträumens Ein prominentes Beispiel: Der Physiker Isaac Newton saß im Jahr 1660 grübelnd im Garten unter einem Obstbaum, als ein Apfel herabfiel. Newton ersann daraufhin die Gravitationstheorie. Sie ist bis heute die Grundlage für unsere Vorstellung von der Funktionsweise des Universums. Hätte er in seiner Schreibstube vor sich hin gebrütet, wäre ihm der entscheidende Einfall vielleicht nicht vor die Füße gefallen. Was die größten Köpfe der Menschheitsgeschichte anscheinend längst intuitiv richtig machten, belegen nun auch Studien: Schon zwölfminütige Pausen, bei denen wir unseren Geist scheinbar ziellos auf Wanderschaft schicken, erhöhen die Kreativität und die damit verbundene Fähigkeit zur Problemlösung um 41 Prozent. [10] [10] The New Yorker: (2012) The Virtues of Daydreaming Dieser Kreativitätszuwachs wird dir sicher helfen, wenn dir die nächste Session am Laptop bevorsteht. Gelegentliches Nichtstun kann demnach über die gemütliche Allee der Achtsamkeit zu mehr Produktivität führen.
4. Produktiver durchs Aufräumen im Kopf – mindful statt mind full
Einen mit Aufgaben und Ideen vollgepackten Kopf solltest du aufräumen, bevor du das nächste Mal produktiv sein willst. Schreibe dafür am Abend nach der Arbeit für den nächsten Tag oder vor dem Einschlafen eine To-do-Liste. Ob du deine Ziele für den nächsten Tag in ein Tagebuch oder auf eine Liste mit „Erledigt”-Häkchen dahinter notierst, ist egal. Anstatt abends schlaflos im Bett zu liegen und über den nächsten Tag nachzudenken, nimm dir Stift und Papier und schreibe alles raus, was dich mental beschäftigt. Unsere Gehirne sind so gebaut, dass sie am liebsten unsere Probleme lösen. Diese Eigenschaft hält uns oft vom Einschlafen ab – weil wir die Lösung nicht immer finden, lange grübeln und uns deshalb irgendwann auch noch schlecht fühlen. Dieses nächtlich nervende Phänomen hat sogar einen Namen: der Zeigarnik-Effekt. Er besagt, dass wir uns besser an unerledigte Aufgaben erinnern können als an erledigte. Benannt wurde er nach der russischen Psychologin Bljurna W.Zeigarnik. [11] [11] Karrierebibel: Zeigarnik-Effekt Unfertiges haftet im Kopf Sie beobachtete 1927 einen Kellner, der mehrere Bestellungen nacheinander aufnahm und sich ohne Probleme an alle erinnern konnte. Nachdem er die Teller serviert hatte, wusste er nicht einmal mehr, ob er vor ein paar Minuten Kuchen oder Salat in der Hand hatte. Nach weiteren Versuchen fanden Forscher der Florida State University heraus: Wenn du eine Liste mit unerledigten Aufgaben aufschreibst, hat das für dein Gehirn denselben Effekt, als hätte es die Dinge bereits erledigt. [12] [12] Studie: US National Library of Medicine National Institutes of Health (2011) Consider it done! Plan making can eliminate the cognitive effects of unfulfilled goals So hast du deine Gedanken geordnet, schläfst erholsamer und bist am Tag darauf produktiver.
5. Arbeite mit deinem Körper – nicht gegen ihn
Das beste Mittel aus dem Arsenal der Achtsamkeit gibt’s zum Schluss. Für produktive Gedanken brauchst du einen Körper, in dem du dich gut fühlst und der gesund ist. Vor allem langes Sitzen bei Schreibtischarbeit ist evolutionsgeschichtlich ein neues Phänomen – denn wir sind Bewegungstiere. Stretching und Yoga sind Gold wert. Der Papst der Lockerungsübungen, Bob Anderson, empfiehlt in seinem Standardwerk “Stretching” bei Schreibtischarbeit alle drei Minuten eine Zehn-Sekunden-Pause. Alle 15 Minuten folgt dann eine Minute Pause und nach zwei Stunden solltest du mindestens 15 Minuten aufstehen und dich dehnen. [13] [13] Buch: Bob Anderson (1996): Stretching www.amazon.de
Damit entspannst du auch dein Gehirn, das für dich nicht nur gute Arbeit erledigt, sondern die ganze Zeit deine angespannte Körperhaltung kontrollieren muss. Noch ein Tipp: Was gibt es Achtsameres, als eine Arbeitspause mit einem kurzen Spaziergang in der Natur zu verbinden? [14] [14] Zentrum der Gesundheit: (2019): Neun Gründe, warum Spaziergänge so gesund sind
Fazit
Wenn du produktiver werden willst, solltest du nicht mit der Peitsche hinter dir stehen. Stell dir stattdessen vor, wie du einem Freund motivierende, aber sanft fordernde Worte zuflüsterst. Natürlich braucht es auch ein Quäntchen Selbstdisziplin, Ziele und Zwischenschritte. Aber mit Achtsamkeit quälst du dich bei der Arbeit weniger und wirst damit produktiver. Vielleicht näherst du dich damit sogar dem Ziel aller Ziele: mehr erreichen mit weniger.
Falls du noch mehr Anregungen suchst: Lies auch unseren Beitrag
„Produktive Morgenroutine: 8 Tipps für den Start in den Tag"
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Dieser Beitrag stammt von Daniel Dzienian, Ex-Journalist und Wort-Jongleur. Statt unter Zeitdruck als Reporter bei einer Tageszeitung, schreibt er jetzt mit Hochdruck über Gelassenheit.
Quellen:
[1] Studie: US National Library of Medicine National Institutes of Health (2010) Mindfulness practive leads to increases in regional brain gray matter density
[2] Hirnforschung: Spiegel Online (2010) Kurzes Meditieren verbessert geistige Fähigkeiten
[3] Geräusche in Deziblel: Die Welt (2004) Vom Ticken der Uhr bis zum Presslufthammer
[4] Stress durch Lärm: Spiegel Online (2014) Stille ist Luxus
[5] Studie: US National Library of Medicine National Institutes if Health (2005) Cardiovascular, cerebrovascular and respiratoy changes induced by different types of music in musicians and non-musicians: the importance of silence
[6] Welt am Sonntag: (2006) Wie die Stille klingt
[7] Bayerischer Rundfunk: (2016): Durch Töne vernetzen sich Hirnregionen
[8] Sozialpsychologie: spektrum.de (2014): Lieber Elektroschocks als Nichtstun
[9] Neurowissenschaft: spektrum.de (2016): Die Vorteile des Tagträumens
[10] The New Yorker: (2012): The Virtues of Daydreaming
[11] Karrierebibel: Zeigarnik-Effekt: Unfertiges haftet im Kop
[12] Studie: US National Library of Medicine National Institutes of Health (2011): Consider it done! Plan making can eliminate the cognitive effects of unfulfilled goals
[13] Buch: Bob Anderson (1996) Stretching www.amazon.de
[14] Zentrum der Gesundheit: (2019) Neun Gründe, warum Spaziergänge so gesund sind
5 Kommentare
Find ich super hier mal einen Gegenpol zum Selbstoptimierungswahn durch Selbstdisziplin zu bieten. Und ich finds einfach klasse, wie viel Mühe ihr euch gebt, diese vielen Studien zu recherchieren. Hut ab!
Lieben Dank für die wertvollen Anregungen.
Hallo Daniel,
der BLOG ist wieder mal Weltklasse!
Vielen Dank!
Einfach mal Danke.
Lieber Daniel, Dein Artikel gefällt mir ausserordentlich gut!! Vielen 💓-lichen Dank. Es ist toll neue Gedankenanstöße zu bekommen, welche zudem durch Studien belegt sind. Ich nehme Deine Zeilen ernst, um über bestimmte Aspekte in meinem Leben und vor allem über meine Gesundheit nachzudenken. Merci